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Der Schlossgeist in Wangen

Der Schlossgeist in WangenAuf dem Wege von Bozen nach Sarntal sieht man auf einer Anhöhe ein altes zerfallenes Schloss, das nach den alten Besitzern, den Herren von Wangen, Schloss Wangen benannt wird. Nicht weit davon steht ein Bauernhaus. Da wohnte ein armer Bauer, der selber wenig zu beissen und zu brechen hatte. An einem Abend schien der Mond so hell und kam ein armer Wandersmann in den Bauernhof, der gerne ein warmes Süpplein und ein Nachtlager gehabt hätte. "Ein Nachtlager", sagte der Bauer, "kann ich dir nicht geben, denn im Heu schlafen die welschen Schnitterinnen, die zum Kornschneiden eingestanden sind; aber wenn du dich nicht fürchtest, kannst du im Schloss übernachten und ein wenig Mehl sollst du auch haben, um ein paar Knödel zu kochen."

"Furcht kenne ich nicht", sagte der Bettler und ging ins Schloss. Dort machte er sich ein Feuer an und wollte Knödel sieden. Als nun das Wasser zu brodeln anfing, fiel auf einmal ein menschlicher Fuss durch den Kamin herab. Der Bettler hob ihn auf und legte ihn beiseite. Und nicht lange, da flog auch der andere Fuss durch den Schornstein hernieder. "Ei, was soll das bedeuten?" sagte der Mann und legte den zweiten Fuss zum ersten. Aber da ging das Werfen von neuem an und kamen der Rumpf, darauf die Arme und zuletzt gar ein menschlicher Kopf den Kamin herabgeflogen.

Das Bettelmännlein stellte den Rumpf auf die Beine, gab die Arme, wohin sie gehörten, und setzte den Kopf auf das Ganze. Da wuchs der herabgefallene Mensch zusammen, bewegte Arme und Beine und fing an zu sprechen: "Gib mir auch zu essen!" sagte er, "mich hungert sehr." Da gab ihm der Bettler einen Knödel; der war aber noch nicht ganz gekocht. Kaum hatte der Geist den Knödel verkostet, als er ihn ausspie und das übrige Stück fortwarf.

Darüber wurde der Wandersmann zornig und hieb dem ungebetenen Gaste ein Tüchtiges über die Ohren. In dem Augenblick stand ein gewappneter Ritter vor ihm und sprach: "Ich danke dir für die Ohrfeige, denn dadurch bin ich erlöst! Ich habe zu meinen Lebzeiten geschwelgt und geprasst und liess die Gottesgabe oft zugrunde gehen. Den Armen gab ich nichts. So musste ich nach meinem Tode büssen, bis einer käme, der mir wegen meiner Heikelkeit eine tüchtige Flasche gibt. Aber keiner getraute sich bisher, das zu tun. Zum Dank für die Watsche will ich dich gut belohnen; komm mit mir!"

Er führte den Bettelmann in den Schlosskeller und zeigte ihm einen grossen Haufen Gold und Silber. "Das alles gehört dir", sagte er und verschwand wieder. Das Bettelmännlein war nun ein steinreicher und vornehmer Mann, und seit der Zeit hat man nie mehr von einem Geisterspuk im Schlosse gehört.

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Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 209 f.
 

 

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