Das
Pemmerer Weibele
Wenn man von Lengmoos auf das Horn geht, so
kommt man zuerst nach Pemmern und dann "auf den Hund."
Zu Pemmern war's, da trieb sich vorzeiten ein Weiblein herum,
alt und grau, das wusste und konnte mehr als andere Menschenkinder.
Mit redlichen Dingen ging es dabei allerdings nicht her, und
die Rittner nannten das triefaugete Weiblein nie anders als
die "Pemmerer Hexe". Wo sie konnte, tat sie den
Leuten Schaden. Wenn es Zwielicht wurde, ging sie in den Wald
hinaus und molk aus den Tschurtschen Milch, soviel sie wollte,
aber dafür gaben die Kühe in der Nachbarschaft keine
Milch.
Auch schnitt sie dem Vieh ein Stück Haut
herunter, nahm dahinter Fleisch heraus, soviel sie nur wollte,
und zog die Haut wieder darüber her, durch Zaubersprüche
den Schnitt zuheilend. Ja, sie brauchte dazu nicht einmal
in den Stall zu kommen: sie schnitt einfach dem nächstbesten
Waldbaum ein Stück Rinde herab und das Fleisch des Ochsen
irgendeines Bauern dahinter heraus und deckte das Loch wieder
mit der Rinde zu, worauf auch das geschädigte Tier im
Stall wieder zuheilte. Dieses magerte allerdings ab, und die
Bauern, welche schönes Vieh eingekauft hatten, erlitten
in kurzer Zeit den grössten Schaden. Sie hatten
lauter Heugeigen im Stall. Aber auch in die Butterkübel
drang ihr Zauber. Wenn nämlich in irgend einem Bauernhof
das Buttern begann, gleich war sie da und bannte die Butter
unter ihr Fürtuch! Wenn aber einer dem Weib begegnete,
griff sie unter die Schürze hinein, zog die fertige Butter
heraus und sagte: "Schau her, die da drin mag noch lang
den Kübel schlagen, die Butter hab' schon ich!"
Aber zum guten Tisch gehört denn auch ein
Gläschen vom Roten. Ein Blick aus ihren Triefaugen reichte
hin, um die Pergeln irgendeines behäbigen Weinbauern
auszudörren und den guten Saft in das Nadelholz oben
zu bannen, worauf sie bloss die Stämme anzuzapfen
brauchte, um ihren Weinkrug mit dem besten Leitacher zu füllen.
Das hat wieder, sagten dann die Leute, die Pemmerer
Hexe getan! Wetter machen konnte sie wie alle Hexen. Sie ging
tief in den Wald hinein, riss einen Tannenzweig ab und
pinselte damit in einer Lacke. Im Nu stieg dann finsteres
Gewölk auf, ein Hagelwetter brach los, das alles auf
dem Felde zugrunde richtete. Wenn aber der Mesner zur rechten
Zeit wetterläutete, hatte sie keine Gewalt mehr. Dabei
fluchte das Weiblein und sagte: "Wenn der Kastelruther
Stier nicht brüllen, die Völser Küh' nicht
plärren und die Saaler Rollen nicht schellen täten,
tät' ich beide Berge übereinanderstellen."
Dazu kam es jedoch nicht, denn die Bauern machten
sich auf und fingen das Weibele ein. Sie wurde zum Tode
verurteilt
und sollte auf dem Piper, da war vor Zeiten der Galgenplatz,
sterben. Flugs bückte sie sich, so dass sie mit
der Hand die Erde erreichte. Damit war sie verschwunden,
und statt ihrer lag ein Büschel Stroh auf der Richtstätte
draussen! Nun trieb sie es ärger als früher,
besonders mit den Wettern. jetzt kamen wilde Wetter, eines
nach dem andern, wie es die ältesten Leute nicht dachten.
Bald da, bald dort sah man das Weiblein mit dem Tannenzweig
an einer Lacke, und wenn einer des Weges kam, lief es davon.
Auf einmal taten sich die Bauern wieder zusammen und setzten
das Weiblein gefangen. Ein kupferner Kessel wurde angefertigt,
und in dem führte man die Hexe neuerdings zum Tode.
Dazu kamen die Leute weit und breit daher. Wie sie sah,
dass
es mit ihr zu Ende gehen sollte, machte sie noch einmal alles
verzagt, indem sie zum Kessel herausschrie: "Bauer,
wenn ich so viel Erde erlangte, als du zwischen den Fingernägeln
Dreck hast, so könnte mir der Freimann nichts anhaben!"
Das erlangte das Weiblein aber nicht, und so musste es
sterben.
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Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche
und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 305 - 307 und Zingerle,
Ignaz Vinzenz, Sagen aus Tirol, 2. Auflage, Innsbruck 1891,
S. 452 f.
Entnommen aus: Bruno Mahlknecht, Südtiroler Sagen, Bozen
1981, S. 81
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